Diagnostik: Proteom-Analyse setzt neue Maßstäbe!

Das Problem

Die medizinische Diagnostik sucht bei Patienten nach krankheitsbedingten Veränderungen des lebendigen Organismus. Dazu werden einzelne, als spezifisch bewertete Veränderungen untersucht. Durch Befragung werden Krankheitsbeschwerden wie Schmerzen, Schlaflosigkeit oder mit technischen Mitteln gemessene Werte wie Blutdruck, Blutzuckerspiegel, Herzströme erfasst. Das Problem: Nur selten ist mit wenigen Befunden und Messwerten eine Krankheit eindeutig zu bestimmen, zum Beispiel ein Gallengangskrebs. Meistens sind Symptome und Messwerte eher unspezifisch (zum Beispiel Bauchschmerzen, Fieber oder erhöhte Blutsenkungs-Geschwindigkeit). Fehldiagnosen oder fehlerhafte Therapiekonsequenzen sind mögliche Folgen. Noch herausfordernder wird es, wenn mit Messwerten aus Labor, Bildgebung, Herzstrommessung, Mikroskopie frühe Stadien einer Erkrankung erkannt werden sollen die „Früherkennung“.

Die Perspektive

Der Grund ist allen Ärzten und Wissenschaftlern klar: Einzelne Symptome oder Messwert-Veränderungen sind nur ein winziger Ausschnitt all jener Millionen individueller Eigenschaften, die einen gesunden beziehungsweise einen früh, akut oder chronisch erkrankten Menschen ausmachen. Besser wären Diagnoseverfahren, die das lebendige Geschehen bei gesunden und kranken Menschen viel umfänglicher als traditionelle Diagnosemethoden abbilden könnten. Mit der geeigneten Diagnostik sollen Krankheiten so früh erkannt werden, dass die Behandlungserfolge mit den bestehenden Therapien verbessern können. Allergrößte Hoffnungen wurden bis vor wenigen Jahren in die Analyse des Erbgutes („Genom“) gesetzt, da im Erbgut seit Jahrzehnten viele fehlende Schlüssel für Krankheit und Gesundheit vermutet wurden. Das hat sich als weitgehend falsch herausgestellt: Das Erbgut ist weit weniger für die direkten Lebensäußerungen verantwortlich als bisher angenommen. Selbst die vollständige Entschlüsselung der erbguttragenden Chromosomen hilft bei der Diagnose von nur ganz wenigen Erkrankungen. Bei der Früherkennung und Diagnostik der modernen Zivilisationskrankheiten nützt die Genomanalyse praktisch nichts.

Lebens-Dynamik

Weitaus besser als das Genom (die Gesamtheit des Erbgutes) beschreibt das Proteom (die Gesamtheit der im Körper als Genprodukte vorkommenden Eiweiße) ein lebendiges Wesen. Ein schönes Bild macht dies deutlich: Die Raupe eines Tagpfauenauges (Schmetterling des Jahres 2009) hat exakt das gleiche Erbgut wie der daraus geschlüpfte, wunderschöne Schmetterling. Anders bei seinem Proteom: Dies unterscheidet sich bei der Raupe in hohem Maße von dem geschlüpften Schmetterling. Kein Wunder, denn die mit Hilfe von Erbgut- Informationen und anderen inneren und äußeren Einflüssen hergestellten Eiweiße sind die Werkstoffe des Lebens und verantwortlich für alle Lebensprozesse (also auch das äußere Erscheinungsbild, der „Phänotyp“). Das Proteom bildet das Leben eines Organismus aber nicht nur umfänglich ab, sondern tut dies auch „dynamisch“. Anders als das vergleichsweise „statische“ Genom verändert sich das Proteom nämlich ständig, je nach der aktuellen Lebenssituation und Einflüssen in Zellen, Geweben, Organen und Funktionskreisen des Körpers.

Proteom-Diagnostik

Ein Bereich der Proteom-Forschung („Proteomik“) beschäftigt sich mit den Möglichkeiten der frühen und genauen Erkennung insbesondere von chronischen Krankheiten. Bei der Proteom-Muster-Analyse werden erstmalig hunderte solcher Eiweiße als Biomarker-Muster zur Bestimmung von einzelnen Krankheiten definiert. Das Proteom des Urins wird insgesamt analysiert und aus diesem die ausgewählten klinischen Biomarker detektiert, die das Vorhandensein und den Schweregrad von Nieren-, Blasen-, Prostata- oder Herzkreislauf-Erkrankungen liefern. Dieses Vorgehen hat den Vorteil – ohne jede invasive Untersuchung –, eine bislang ungeahnte Fülle an genauen diagnostischen Informationen zu erhalten.

Innovative Technik

Das international am häufigsten untersuchte und eingesetzte Verfahren zur Proteom-Diagnostik wurde anfangs in Kooperation mit der Medizinischen Hochschule Hannover von Prof. Dr. Dr. Harald Mischak entwickelt und langjährig erforscht – die an Kapillarelektrophorese gekoppelte Massenspektrometrie (CE- MS). Hierbei werden die Eiweiße in einer Urinprobe aufgetrennt (mittels Kapillarelektrophorese) und dann identifiziert und quantifiziert (mittels Massenspektrometrie). Dabei ergibt sich ein für Patient und Gesundheitsstörung hochcharakteristisches Proteom-Muster. Bei dem komplexen technischen Vorgang der CE-MS-Kopplung werden aus der Original- Probe bis zu 5 Gigabyte Daten von bis zu 6.000 Proteinen/Proteinfragmenten gewonnen. Aus diesen Rohdaten eines Patienten-CE-MS werden – je nach diagnostischer Aufgabe – mehrere hundert verschiedene Eiweiße genau analysiert. Und anschließend mittels einer neuartigen Software mit validierten spezifischen Krankheits-Mustern tausender anderer Menschen verglichen. Dieser Vergleich ermöglicht eine hochgenaue Krankheitsbestimmung selbst in frühen Phasen der Krankheitsentstehung. Kein Diagnoseverfahren erbringt annähernd so viele reproduzierbare und zur Differentialdiagnostik verwendbare Daten mit dieser hohen klinisch bedeutenden Genauigkeit. Zudem werden die Rohdaten und das klinische Proteom-Muster in einer Datenbank abgelegt und fortlaufend zur Dokumentation des Krankheitsverlaufs und deren weiteren Prognose, wie Krankheitsentwicklung, Therapie-Erfolg und individuelle Einstellung des Patienten, herangezogen. Damit bildet die Proteom-Muster- Analyse die fundamentale Grundlage für die weiteren Schritte hin zur individualisierten Medizin.

Individuelles Eiweiß-Profil

Dies führt schließlich zu sehr genauen Hinweisen, welche Protein/Proteinfragmente mit der Entstehung einer Erkrankung zusammenhängen und in welchem Stadium der Veränderung sich das Protein- Muster, das mit der Erkrankung assoziiert ist, verändert. Diese Protein-Muster zeigen die Veränderungen im menschlichen Gewebe schon in einem sehr frühen Stadium an. Liegt eine frühe Schädigung der Nieren vor (beispielsweise bei der Zuckerkrankheit mit dem DN-Test nachweisbar) kann zum frühestmöglichen Zeitpunkt das weitere Fortschreiten der Erkrankung erfolgreich aufgehalten oder verlangsamt werden. Mit den Ergebnissen einer Urin-Proteom-Analyse (UPA) kann der behandelnde Arzt dann die Therapie sehr genau auf seine Patienten ausrichten, weiter optimieren und eine hochgenaue Verlaufskontrolle durchführen (Therapie-Monitoring).

Status quo

Die Proteomik und die Proteom-Diagnostik sind Elemente der Systembiologie. Diese versucht beim Verständnis des Lebens nicht alleine einzelne biochemische Reaktionen zu berücksichtigen, sondern lebendige Organismen in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Unverzichtbar ist dabei die Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen, die zuvor bei vielen Menschen erfasst werden. Erst dann ist es möglich, die Wertigkeit der Proteom-Diagnostik bei bestimmten Erkrankungen   einzuschätzen. Dies geschieht nach und nach. Beispiel:

„diabetischen Nephropathie“ (schleichender Nierenfunktionsverlust bei Diabetikern). Das DiaPat-Verfahren zeigt die Nierenschädigung früher und genauer an als alle anderen bekannten diagnostischen Methoden. Das ist in vielen klinischen Studien belegt. So innovativ und wertig ein neues Diagnoseverfahren auch ist, es müssen viele bürokratische Hürden genommen werden, bevor es allgemein angewandt werden kann. In Deutschland haben sich die Entscheidungsgremien der Selbstverwaltung – G-BA – noch nicht zu einer Bezahlung der Proteom-Diagnostik durchgerungen. Angesichts der wachsenden Herausforderung durch Diabetes mellitus Type 2 oder Bluthochdruck fordern viele Experten eine zügige Integration solcher innovativer Diagnoseverfahren.

 

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